Liebe Freunde,
Gernegrosse Meinungsmacher schlagen sich gegenseitig gerne Informationen aus wissenschaftlichen ‘Studien’ um die Ohren (ganz zu schweigen von derzeit verbreitetem Falschzitieren aus Studien). So ist denn in der Bevölkerung die Illusion verbreitet, 'die Wissenschaft' müsse jetzt doch klar Stellung nehmen, was konkret zu tun wäre!
Gegen illusorische Erwartungen an die Wissenschaft scheint mir eine Radio-Sendung sehr hilfreich und hörenswert, die das Verhältnis zwischen Wissenschaft, Behörden (wie BAG/ Koch), Medien und Politik gut darstellt, wie es sein könnte und sollte, aber in der jetzigen Krise oft mit Füssen getreten wird:
Kontext mit Christian von Burg (srf2 12./13.05.2020), mit der UZH-Virologin Prof. Alexandra Trkola, Zürich, und dem Historiker Prof. Caspar Hirschi, HSG:
https://www.srf.ch/play/radio/popupaudioplayer?id=121ef69f-f510-4122-88cb-1ad126c3d81c (~48'): "Wissenschaftler – die Stars der Krise", mit Fragen wie: Wie wird aus wissenschaftlicher Erkenntnis politischer Rat, oder: Die zuspitzende Wirkung der Medien auf die Politik (z.B. epidemiologische Zahlen von Prof. Neil Ferguson, London, deren Guardian-Hype die Politiker quasi zu Schulschliessungen gezwungen hat), oder über den Umgang mit Verschwörungstheorien, die zu jeder Pandemie gehören (1918!).
Hintergrund: Der Diskurs zwischen Wissenschaft, Bevölkerung und Politik ist nicht nur jetzt wichtig: er muss geübt werden.
Was ist heute 'Wissenschaft'? Verkürzt: eine Idee oder Hypothese -> Beobachten -> Sammeln von Rohdaten -> deren statistische Auswertung und Zusammenstellung -> Interpretation und Diskussion – allerdings erschwert dadurch, dass wir wissen, dass schon die Rohdaten vom Denken und den Erwartungen des Beobachters beeinflusst werden können. Forschungsresultate sind also nicht vollgültige Tatsachen, Realitäten an sich, sondern bestenfalls ein gutes Abbild von diesen – besser ausgedrückt (vor 130 Jahren) von Rudolf Steiner in seiner Dissertation *).
‚Peers‘ sind nicht nur (Fach-)Kollegen, sondern allgemein Mitglieder gleichartiger Gruppen.
Peer-reviewed sind wissenschaftliche Studien, wenn sie von Experten mit ausgezeichneter Fachkenntnis begutachtet und beurteilt worden sind, bevor sie publiziert werden können. Zur Zeit werden tausende von Studien im Preprint-Verfahren, d.h. ohne Peer-Review publiziert und verbreitet. Wenn dabei auch Qualitäts-Kriterien drohen verloren zu gehen, muss dies nicht grundsätzlich schlecht sein, stellt aber deutlich erhöhte Anforderungen an einen Diskurs über solche Informationen! Möge eine gute Pädagogik (der Oberstufe) diese Diskurs-Fähigkeit intensiv fördern, um die so wichtig gewordene Fähigkeit des Umgangs mit Wahrheit und Wissenschaft beherrschen zu lernen!
Auf Prof. Caspar Hirschi bin ich aufmerksam geworden durch die originelle Kolumne «Unsere Pandemie-Experten wissen wenig – aber das dafür mit Nachdruck.» in der NZZ am Sonntag, erschienen am 17.04.2020, mit prägnanten Sätzen wie «Die Länder, die zuerst betroffen sind, übertragen nicht nur das Virus, sondern auch die Art seiner Bekämpfung auf andere Staaten.» «Da das Virus aus China kommt, wenden europäische Demokratien Methoden an, die vor kurzem noch der chinesischen Diktatur vorbehalten waren.»
Und zu obgenanntem ‘Kontext’: «Experten können in der aktuellen Krise nicht sagen, was die richtige Entscheidung ist, sondern höchstens, was eine falsche Entscheidung wäre.»
Blybet g'sund!
Kaspar H. Jaggi
3303 Jegenstorf
*) GA 3, S. 11: "Das Resultat dieser Untersuchungen ist, dass die Wahrheit nicht, wie man gewöhnlich annimmt, die ideelle Abspiegelung von irgendeinem Realen ist, sondern ein freies Erzeugnis des Menschengeistes, das überhaupt nirgends existierte, wenn wir es nicht selbst hervorbrächten. Die Aufgabe der Erkenntnis ist nicht: etwas schon anderwärts Vorhandenes in begrifflicher Form zu wiederholen, sondern die: ein ganz neues Gebiet zu schaffen, das mit der sinnenfällig gegebenen Welt zusammen erst die volle Wirklichkeit ergibt…"
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