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Der Plastikschulimpuls

 

Von Urs Weth

 

„Soziale Dreigliederung“ ist derzeit in aller Munde. Dass es dabei nicht darum geht, der Weltgemeinschaft ein festes Konzept überzustülpen, nach welchem man gemäß einem festen Plan arbeiten könnte, ist jedem offenen Geist, der sich eingehend mit dieser Idee Rudolf Steiners auseinandergesetzt hat, bekannt. Vielmehr geht es um eine Gesetzmäßigkeit. Kein Naturgesetz, eher eine Art „soziales Gesetz“ steht dahinter. Sie wird durch die Individualitäten belebt, welche sich damit durchdringen können. Das Erfassen dieser organischen Sichtweise bedarf einer ebenso gearteten Schulung, welche das Lebendige zu erfassen vermag.

 

So muss man sich heutzutage klar werden, wie Abhängigkeiten entstehen und wirken. Dies gilt für die Gesellschaft, wie auch für andere Bereiche, welche dieses gesellschaftliche Leben berühren. Dazu gehört auch die Bildung. Bildung hat in den letzten Jahren gewaltige Veränderungen erfahren. Woher kommen diese Veränderungen und durch wen oder was sind sie induziert worden? Sind es staatliche Behörden, welche entsprechende Auflagen und Gesetze geschaffen haben, oder sind es freie geistige Impulse, die von solchen Bildungsinstituten ausgehen? Wie hätte eine Entwicklung ausgesehen ohne die verschiedenen Qualitätssicherungs-Maßnahmen der Behörden, die in den 90er Jahren vermehrt einsetzten und die Bildungslandschaft maßgeblich aufmischten?

 

Inmitten dieser Turbulenzen blieb die „Plastikschule am Goetheanum“, einer Ausbildungsstätte für Werklehrer und Kunsttherapeuten, verhältnismäßig resistent aufgestellt. Der ursprüngliche Impuls Raoul Ratnowskys, welcher primär die innere Entwicklung des Schülers fördern und befestigen wollte, stellte sich den neu aufkommenden Anforderungen in dem Sinne entgegen, dass er sich weiterhin auf die Kernfrage eines Schulungsweges ausgerichtet und verpflichtet fühlte.

 

Der Konflikt der Plastikschule mit anderen Schulen in der kunsttherapeutischen Ausrichtung bestand und besteht oftmals darin, dass die Schule nicht als Bildungsweg im klassischen Sinne verstanden werden kann, sondern als Schulungsweg. Darin beruht auch das Konzept der Tiefe statt der Breite des Angebots. Es wird und wurde immer explizit mit den bildhauerischen Mitteln gearbeitet, weil man davon ausging, dass nicht die Vielfalt das beste Ergebnis bringe, sondern die innere Entwicklung des Gestaltenden am Objekt. Der Effekt dieses Vorgehens wird dadurch verstärkt, dass man die eigentliche Tätigkeit verdichtet und zentriert auf wenige Mittel. Dabei besteht das Zentrum des Schulungsweges in der Bearbeitung von 7 Kräftestrukturen rund um eine Art geistigem Zentrum, welches nach und nach zum Erwachen gebracht werden sollte.

 

Dies zeichnet sich ab in der Arbeit an den 7 Kapitälen des ersten Goetheanum Baus, die jeweils ein Hauptfenster der inneren Entwicklung abbilden. Diese „Kapitäle“ stellen Kräfte dar, die sich innerhalb der Entwicklung der Menschheit in vielen Zyklen gebildet haben. Diese werden mit den Planetennamen Saturn, Sonne, Mond, Mars, Merkur, Jupiter und Venus bezeichnet, ohne damit den gewöhnlichen, dilettantischen astrologischen Kontext abbilden zu wollen. Solche „Bildungsmaßnahmen“ stellen sich selbstverständlich vollkommen quer zu einer heutigen Weltsicht, die sich nur noch an materiellen Aspekten der Wahrnehmung und der Zweckgebundenheit orientiert. Die hier vermittelte Sichtweise berührt völlig andere Bereiche des menschlichen Bewusstseins und können mit keinerlei Maßstäben üblicher Bildungskriterien bemessen und gewertet werden.

 

Die gewöhnliche Vorstellung von Bildung beinhaltet solche Kompetenzen wenig bis gar nicht. Selbst rein psychologische Aspekte können nicht in diesen Zusammenhang gestellt werden, da sie das Menschenwesen in seinem Zentrum, dem „Ich“ berühren sollen. Weder die staatlichen Behörden noch die tragenden Berufsverbände richten ihr Augenmerk auf diese Art von innerer Schulung. Der Hauptfokus liegt dort mehr in der Breite, weniger in der Tiefe. Dabei geht es hauptsächlich um die Entwicklung von Wissen und äußeren Fähigkeiten. Dieses Vorgehen orientiert sich an den Maßstäben der staatlichen Behörden und anderer gleichwertiger Bildungsangebote. Daher müsste unbedingt die Frage nach deren Unabhängigkeit im Sinne eines „freien Geisteslebens“ hinterfragt werden, einer der drei Bereiche der sozialen Dreigliederung.

 

Ein klassischer Bildungsweg muss sich mit anderen "Qualitäten" auseinandersetzen als ein innerer Schulungsweg. Letzterer ist der Öffentlichkeit auch wenig bis gar nicht bekannt. Das Ziel einer solchen Ausrichtung ist weniger im Abschlusszertifikat zu sehen als vielmehr in der persönlichen Entfaltung jeder Individualität. Das „Zertifikat“ ist ein inneres Potenzial. Damit kann man sich bei den Behörden nicht „ausweisen“, aber damit hat man ein individuelles Werkzeug geschaffen, mit welchem man in seinem individuell geschaffenen Gebiet die reale Welt betritt um sich als Mensch einzubinden in die gegebenen Verhältnisse, zum Beispiel im therapeutischen, aber auch im (päd- ) agogischen Kontext. Es gibt in spirituellen Kreisen Mittel und Wege durch Konzentration, Kontemplation und Meditation sich auf einen inneren geistigen Weg zu begeben. Im normalen Berufsleben wird die Wahrnehmung kaum darauf gelenkt. Es ist dort eher wichtig, "breit aufgestellt" zu sein und viel Wissen zu haben. Der andere Aspekt der Tiefe wird wenig bis gar nicht beachtet.

 

Die Plastikschule ging, vor allem unter Raoul Ratnowskys, davon aus, den Schüler näher an sein höheres Ich, im hier verstandenen Sinn, heranzuführen. Was danach aus dieser Kraft geschaffen wird, ist höchst individuell und nicht mehr der Pflicht der Schule unterworfen! Ein solches Vorgehen liegt natürlicherweise sehr weit neben allen heutigen Gepflogenheiten.

In einem klassisch verstandenen Bildungsweg werden die Kompetenzen durch dieses eben erwähnte breite Angebot gefördert und geweckt. Das ist nichts Schlechtes. Was die Schüler danach herausgreifen oder inwiefern sie dabei oder danach ihren Fokus ebenfalls auf einen individuellen Schulungsweg lenken, unterliegt hauptsächlich der Initiative des Schülers oder der Schülerin. 

 

Dass mit der Art des Plastikschulimpulses Konflikte entstehen mit anderen Bildungsinstitutionen, ist fast schon vorprogrammiert. Ist doch die klassische Ausrichtung anderen Schwerpunkten unterworfen als es diese Vorgehensweise zu erfüllen versucht. Andere liegen in einer vermeintlichen "Vielfalt", welche "Ganzheit" impliziert, währenddessen die hier vertretene in einer Konzentration der Kräfte liegen, aus der eine individuelle, innere Vielfalt in jedem Einzelnen erweckt werden soll. Die Ganzheit wird genau dadurch erweckt, dass sie sich aus diesem Prozess keimhaft in alle Gebiete entwickeln kann. Das ist der Anfangspunkt weiterer Schritte, die nicht mehr der Obhut der Schule unterliegen. Der Bildungsweg führt eher zu einem Schlusspunkt, welcher mit dem „Titel“ abgeschlossen ist. Das äußere Werkzeug kann damit überall angewendet werden. Die Plastikschule, wie ich sie selbst erlebt und erfahren habe, will keine äußeren Werkzeuge ausbilden, sondern eben vorwiegend innere. Somit ergibt sich eine Diskrepanz zum äußeren „Diplom-Verständnis“, demgemäß man eine Bescheinigung zu erfüllen hat, der in der Berufslandschaft eine hohe Bedeutung zukommt.

 

Insofern könnte man von einer kompletten Umstülpung der Intentionen eines klassischen Bildungsweges gegenüber dieser Art Schulungsweg sprechen. Dort wird "etwas gelernt". Im Schulungsweg geht es weniger um das klassische „Lernen“ im Sinne von der intellektueller Aneignung von Inhalten als vielmehr um das Aneignen von inneren Kräften, aus denen jeder eigenständig und individuell schöpft, oder meinetwegen, sekundär auch lernt. Letzteres aber aus sich selbst heraus. Daraus bilden sich auch komplett unterschiedliche Vorstellungen von Fortbildung!

 

 

So wie ich die Intentionen Rudolf Steiners verstehe, sollte auch seine Pädagogik nicht dazu geschaffen sein, in erster Linie Inhalte anzueignen, sondern das Kind sollte dahin gebracht werden, selbst aus einem geistigen Zentrum heraus neue, eigene Inhalte zu schaffen, zu entwickeln oder sich auch anzueignen. Auch hier steht nicht das Was im Vordergrund, sondern das Wie. Ähnlich wäre auch die Intention Raoul Ratnowskys und der Plastikschulimpuls zu verstehen.

Diese Diskrepanz könnte, anschließend an eine obligatorische (Pflicht-) Ausbildung, im "freien Markt", sozusagen als "Kür" erreicht werden.

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